Neue kulturhistorische Publikation von Helmut Seebach. Elwetrittsche und Pfälzer Schlachtplatte kommen aus der Schweiz

Neue kulturhistorische Publikation von Helmut Seebach. Elwetrittsche und Pfälzer Schlachtplatte kommen aus der Schweiz

Es waren die Schweizer Reformierten, die sowohl in der Pfalz nach dem 30-jährigen Krieg als auch in Pennsylvania im 17. Jahrhundert die Erstsiedler darstellten und im ethnokulturellen Sinne quasi Schweizer Kolonien nach ihren vertrauten und bewährten kulturellen Mustern begründeten. Deshalb haben wir in der Schweiz, in der Pfalz, in Pennsylvania und in zahlreichen Ländern Europas die gleichen Phänomene aufzuweisen. Helmut Seebach hat in seiner kulturgeschichtlichen Forschung herausgearbeitet, dass für einen Großteil der Schweizer die Pfalz lediglich Transit und Drehscheibe einer weiter führenden Odyssee war. Sie führte die Migranten entweder zu Teilen nach Irland (1709) und von dort teilweise weiter nach Pennsylvania. Oder aber auch zum überwiegenden Teil aus der Pfalz direkt nach Nordamerika. Foto: cmc-hi

Annweiler.9.5.2020/hi. Die weitgehend menschenleere Pfalz löste einen bevölkerungspolitischen Sogeffekt nach dem 30-jährigen Krieg aus. Es kam zu einer Massenauswanderung aus der Schweiz. Ab 1650 führte das zu einer mitteleuropäischen Wanderungsbewegung, wie sie sich in ihren sozialen, wirtschaftlichen und gesamtkulturellen Dimensionen in der Geschichte Europas bis dahin nicht ereignet hatte. Die kulturellen Folgen der Schweizer Reformation auf die europäische Kultur sind bis heute erkennbar.

Das jedenfalls hat der Pfälzer Volkskundler aus Annweiler-Queichhambach in seinem neu erschienenen Buch „Kleine Kulturgeschichte Europas“ ausführlich dargestellt und anhand zahlreicher Beispiele erläutert.

Gleiche kulturelle Phänomene von der Schweiz über die Pfalz bis nach Pennsylvania

Das erklärt den Nikolaus (Belzenickel) in den USA, wie er von Thomas Nast aus Landau in zahlreichen Illustrationen und Karrikaturen populär gemacht wurde, ist der gleiche Weihnachtsmann, an den  beispielsweise der  Belzenickelmarkt in Edenkoben jährlich am 6. Dezember erinnert.

Ebenso wie die Elwetritsche in Pennsylvania. Die Jagd auf die Elwetrittsche, dem vogelähnlichen Fabelwesen, für das der Pfälzer Bildhauer Gernot Rumpf in Neustadt an der Weinstraße einen eigenen Brunnen geschaffen hat, gibt es auch bei den Amischen in Pennsylvanien. In der (englischsprachigen) Zeitung mit dem Titel Es Elbedritsch liest man dazu Geschichten.

Aber vor allem das Essen.

Mit den Speise- und Kochgewohnweiten der Pfälzer befasst sich Helmut Seebach im 1. Kapitel.

Das Sauerkraut heißt im Schweizerischen Surchrut und das originär deutsche Wort wurde im Französischen als Choucroute übernommen. Im benachbarten Elsass erhält des Gast im Restaurant unter dem Namen Choucroute garnie mit Würsten und Fleisch garniertes Sauerkraut. Dies entspricht der Pfälzer Schlachtplatte, was in der Schweiz auch der Berner Platte heißt. Alle drei sind regionale Varianten des Grundkomplexes der oberdeutsch-alpinen Küche mit dem charakteristischen untrennbaren Trio: Schweinefleisch, Kartoffeln und eben Sauerkraut.

Strauben waren früher nicht nur Alltagsnahrung, sondern spielten auch bei Brautschau und Hochzeiten eine Rolle. Bis heute werden Strauben in Annweiler-Sarnstall als Kirchweih-Gebäck gereicht. Die Strauwe-Kerwe wird alljährlich um Pfingsten abgehalten. In Sarnstall gibt es den Strauwebrunnen: „Somit beziehen der Ort und seine Bewohner ihre dörfliche Identität fast ausschließlich durch das Gebäck und das damit zusammenhängende Kirchweih-Brauchtum“, schreibt Seebach. Sarnstall stehe damit einzigartig unter den Orten in der Pfalz.

Der religiöse Bezug

Kaum ein Fachwerkhaus aus dem17./18. Jahrhundert in der Pfalz, das nicht ein Andreaskreuz als Schmuckform unter seinem Fenster trüge. Dieses kulturelle Muster ist sichtbarer Ausdruck und Erkennungszeichnen des christlichen Glaubens, wie ihn die Schweizer Reformierten lebten. Ein Musterbeispiel dafür sieht man in der Annweiler Altenstraße Nr. 18.

Zusammenfassung

Ein alles in allem gut lesbares, in vier Kapiteln gegliedertes Buch (Essen, Kleidung, Brauch, Bildersprache), das kulturhistorisch falsche Vorstellungen von den Pfälzern korrigiert: Nicht die Pfälzer Auswanderer haben die Phänomene nach Pennsylvania gebracht, sondern die Schweizer Reformation hat sich über die Pfalz und weite Teile Europas hinaus bis nach Amerika ausgebreitet.

Zugleich erweitert das reich bebilderte und mit vielen Quellenangaben versehene Werk die traditionellen Vorstellungen von der Pfalz um eine kulturelle Dimension: Im ethnokulturellen Prozess der Pfalzwerdung haben die alpin-schweizerischen Kulturelemente konstitutiven Charakter.

Dieser Band zur aktuellen Kulturraum-Forschung zeigt die Pfälzer Wurzeln in neuem Licht.

Helmut Seebach, Kleine Kulturgeschichte Europas. Das Erbe der Schweizer Reformation., Bachstelz-Verlag, Mainz 2020. ISBN 978-3-924115-43-2. 282 Seiten, 124 Abbildungen, Karten, Schemata. Mit einer mehrseitigen Zusammenfassung in englischer und französischer Sprache. 29,80 Euro.

Signierstunde des Autors am 16. Juli, 17 – 18 Uhr Auf Einladung des Vereins Zukunft Annweiler kommt Helmut Seebach am Donnerstag, 16. Juli, zu einer Signierstunde nach Annweiler. Auf dem Rathausplatz, vor dem Vereinslokal, kann das Buch mit einer persönlichen Widmung des Autors erworben werden. Und im Anschluss steht der Autor für weitere Gespräche mit geschichtlich interessierten Lesern open-end zur Verfügung.

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